Das Pride-Weekend in Zürich ist Geschichte – die Anliegen und Forderungen der Queer-Community bleiben bestehen. Einer, der sich damit auskennt ist Patrick Weber. Der 38-Jährige ist seit 14 Jahren Aktivist, gibt Weiterbildungen zu queeren Themen und hat als Wissenschaftler der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW ein Studie über homonegatives Verhalten von Schülerinnen und Schülern in der Schweiz verfasst.
Patrick, letztes Wochenende war die Pride – wie hast Du gefeiert?
Ich war als Privatperson da. Für mich hat die Pride zwei Aspekte. Der eine ist der Offensichtliche: Es wird die Vielfalt gefeiert, Anderssein wird Zelebriert. Dieses Jahr stehen die trans Menschen im Mittelpunkt. Mit dem Pride-Month wird auch den Jungen Mut gemacht: Steh zu Dir, Du bist nicht allein
Der andere, wichtige Aspekt: Die Pride ist keine Party, sie ist vor allem eine Demonstration. Wir demonstrieren für mehr Akzeptanz, weniger Diskriminierung und generelle Gleichstellung.
Welche Bedeutung hat die Pride für Dich?
Für mich hat die Pride eine enorme Bedeutung. Es ist einerseits offiziell der grösste Anlass für die Anliegen der Queer-Community. Andererseits fühle ich mich persönlich an keinem anderen Tag im Jahr so frei. Es ist der Tag, an dem ich sagen kann: Ich fühle mich voll akzeptiert. Ich bin zugehörig. Ich bin safe. Und je mehr Menschen auf die Strasse gehen, je sichtbarer werden wir. Letztes Wochenende waren es über 40’000 – ein neuer Rekord.
Heisst das, Du fühlst Dich meistens nicht safe, nicht frei im Alltag?
Es ist nicht so, dass ich Angst habe oder mich stets unwohl fühle in meinem Alltag. Ich habe mich schon lange geoutet und für mein Umfeld ist das kein Thema. Aber in gewissen Situationen überlege ich mir schon, wie offen ich kommuniziere, wie sichtbar dass ich mich machen soll. Es gibt Menschen in der queeren Community, für die ist Diskriminierung alltäglich. Vieles findet eher subtil statt und wird nicht gleich als Diskriminierung wahrgenommen, wie z.B. das Starren, wenn ein homosexuelles Paar händchenhaltend durch die Strasse läuft. Das kann sehr unangenehm sein und schränkt im Alltag ein.
(Pride 2022 – Bild: Patrick Weber)
Deine Dissertation über homonegatives Verhalten unter Jugendlichen in der Deutschschweiz zeigt unter anderem, dass 84,5 Prozent der Befragten in den letzten 12 Monaten mindestens einmal indirekt Homosexuelle diskriminiert haben – macht Dich das wütend?
Ich habe insgesamt 2210 heterosexuelle Jugendliche aus 151 Schulklassen in 30 Schulen vor Ort befragt. Wenn ich als Forscher unterwegs bin, habe ich eine Art Schutzschild und lasse das Geschehen nicht an mich heran. Wenn es mir persönlich passiert, dann ist das natürlich etwas anderes. Ich bin seit 14 Jahren aktivistisch tätig und setze mich für Gleichstellung von queeren Menschen ein. Eine gewisse Abhärtung ist da natürlich vorhanden. Aber die Aussagen und Studienergebnisse sind natürlich erschreckend. Das Wort ‘schwul’ hat sich als Schimpfwort verfestigt, sein Gebrauch ist heutzutage normal unter Jugendlichen.
Was macht ein solch homonegatives Verhalten mit queeren Jugendlichen?
Junge queere Menschen erleben in der Deutschschweiz täglich subtile oder offene Ausgrenzungen, Beschimpfungen und leider auch Gewalt. Die Suizidversuchsrate bei homosexuellen Jugendlichen ist aufgrund dessen fünf Mal höher als bei heterosexuellen. Das ist eine weitere erschreckende Zahl und wir dürfen deshalb solche Diskriminierungen nicht tolerieren.
Zu welchem Fazit bist Du mit der Studie gelangt, welche Lösungsansätze resultieren daraus?
Ich habe in meiner Dissertation ein Modell entwickelt, das die Gründe für homonegatives Verhalten erfasst und damit Anhaltspunkte gibt, wo und wie dagegen angekämpft werden kann. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: Unter anderem ein homonegatives Schulklima, die traditionelle Männlichkeit, Empathiefähigkeit, die Thematisierung von Menschenrechten und der fehlende Kontakt zu queeren Menschen. Auch die Religiosität spielt eine grosse Rolle. Im Idealfall würden die Kantone, bzw. die Schulen, anhand der Resultate eine Strategie entwickeln, um diese Entwicklung zu stoppen, beziehungsweise in die andere Richtung zu lenken.
Gibt es aus Deiner Sicht auch positive Aspekte?
Die Befragten in meiner Studie waren mehrheitlich 14 bis 15 Jahre alt. Sie entwickeln sich, werden selbständiger, beginnen – zum Glück! – zu hinterfragen. Der Gruppendruck nimmt ab, sie bilden sich weiter und lernen homosexuelle Menschen kennen. Hier besteht also Hoffnung, dass sich viele von ihnen positiv verändern. Interventionen braucht es aber trotzdem. Auch gesellschaftlich ist eine positive Veränderung spürbar. Die Akzeptanz nimmt zu, Menschen interessieren sich zunehmend für das Thema und in der rechtlichen Gleichstellung haben wir schon sehr viel erreicht. Die Stadt Zürich setzt sich aktiv für das Wohlbefinden von queeren Menschen ein. Dennoch kommt es immer wieder zu Diskriminierungen im öffentlichen Raum, weshalb es verstärkt pädagogische und strafrechtliche Massnahmen braucht.
Patrick Weber
Hier Link zur Dissertation von Patrick Weber